Von wegen Spaltung

ANALYSE. Österreich ist politisiert wie schon lange nicht mehr. Von einer Spaltung oder gar noch Schlimmerem zu reden, ist jedoch stark übertrieben. Zu viele Leute wechseln nach wie vor die Seiten.

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ANALYSE. Österreich ist politisiert wie schon lange nicht mehr. Von einer Spaltung oder gar noch Schlimmerem zu reden, ist jedoch stark übertrieben. Zu viele Leute wechseln nach wie vor die Seiten.

Wie weit soll journalistische Zuspitzung gehen? Wenn diese Bundespräsidenten-Wahl Sinnvolles bewirken soll, dann wäre auch eine Auseinandersetzung darüber angebracht. Profil-Herausgeber Christian Rainer ortet eine „Wahl wie ein Bürgerkrieg“. Auf dem Krone-Cover wird Alexander Van der Bellen als „halber“ Präsident dargestellt. Begründung: Er sei nur von der Hälfte gewählt worden; die andere lehne ihn ab. Zur Erinnerung: Van der Bellen erreichte 50,3 Prozent. Das ist die absolute Mehrheit. Keine „klare“, aber eine, wie es sie in der Vergangenheit immer wieder gegeben hat: Franz Jonas kam 1965 auf 50,6 Prozent. Selbst Heinz Fischer musste sich 2004 mit 52,4 Prozent begnügen – das ist auch nicht viel mehr als die Hälfte.

Dass diese Wahl gesellschaftliche Gräben aufgerissen oder gar zu einer Spaltung geführt hat, ist zumindest stark übertrieben. Aber vielleicht ist das da und dort auch nur Wunschdenken. Der FPÖ könnte das jedenfalls nur recht sein, es würde der Partei erleichtern, sich in einer Art „Alle sind gegen uns“- bzw. Opfer-Rolle zu profilieren.

5 Gründe sprechen jedoch dafür, auf dem Boden zu bleiben:

– Van der Bellen wird sich in seiner Amtsführung kaum von Heinz Fischer unterscheiden. Ja, er hat am Montagabend im ORF-Report sogar erklärt, dass er dafür wäre, die Macht des Bundespräsidenten zu beschränken. Und im Wahlkampf hat er von Kampfansagen – im Unterschied zu Norbert Hofer an die Adresse der Bundesregierung – abgesehen. Sprich: Niemand muss sich vor ihm fürchten.

– Die Polarisierung beschränkte sich zuletzt allenfalls auf das Thema „Flüchtlinge“: Und da ist auffallend, dass Hofer, wie berichtet, ausgerechnet dort am besten abgeschnitten hat, wo die wenigsten Fremden leben; im Burgenland etwa. In Wien dagegen, wo vier von zehn Menschen einen Migrationshintergrund haben, musste er sich mit einem Stimmenanteil von einem Drittel begnügen.

– Das bestätigt, dass es in der Macht der Politik liegt, Ängste zu schüren oder zu nehmen. Die „alte“ Bundesregierung hat unter Werner Faymann in ihrer Unbeholfenheit ersteres getan. Christian Kern hat dieses Problem zumindest erkannt; jetzt muss er zeigen, dass es auch anders geht.

– Eine echte Polarisierung würde im Übrigen bedeuten, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, ihren Standpunkt zu ändern. Ganz offensichtlich tun das aber noch immer sehr viele. Nach dem ersten Wahlgang hat jedenfalls alles dafür gesprochen, dass Hofer klar gewinnt. Umfrageergebnisse zur Flüchtlingspolitik, aber auch der Regierung, haben gezeigt, dass gut zwei Drittel eher auf seiner Seite stehen als auf der Van der Bellens. Herausgekommen ist dann jedoch ein anderes Ergebnis.

– Diese Beweglichkeit der Wähler wird auch in den jüngsten Sonntagsfragen zu Nationalratswahlen und zum Kanzler sichtbar. Zwei, drei (eher) kurze Auftritte von Christian Kern haben gerecht, um die Stimmung zu drehen. Das muss nicht von Dauer sein; aber allein schon die Momentaufnahme zeigt, wie weit Österreich insbesondere von bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen entfernt ist.

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